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Deutschland
Gentle Project – Unterstützungsgruppen für Männer und Frauen in LAF-Unterkünften gegen häusliche Gewalt
01.09.2022
-
31.12.2023
Gefördert durch das Berliner Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten

Das seit Oktober 2022 mit Unterstützung des Berliner Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten in Berliner Unterkünften durchgeführte und im Juli 2023 um Ukrainisch und Russisch sprachlich erweiterte „Gentle Project“ öffnet einen Raum für die Auseinandersetzung mit dem Tabu-Thema häuslicher Gewalt. Sukzessive wurden immer mehr LAF-Unterkünfte einbezogen, im Juli 2023 waren es elf. Im ersten Halbjahr 2023 wurde ein Intensivprogramm von 8 Gruppensitzungen mit 13 Männergruppen durchgeführt, wobei 47 der insgesamt 116 teilnehmenden Männer Gewalterfahrungen als Opfer oder Täter gemacht hatten. An dem Programm für Frauen, das 4 Gruppensitzungen umfasste, nahmen 77 Frauen in 11 Gruppen teil.

193
Gruppenteilnehmer:innen in 6 Monaten
24
Gruppen in 6 Monaten
415
Einzelberatungen in 6 Monaten

Sechs Counselors bieten Unterstützung suchenden Männern und Frauen die Möglichkeit, sich in ihrer eigenen Sprache – i.e. Farsi, Dari und Arabisch und seit Juni 2023 auch Russisch und Ukrainisch – mit häuslicher und fremder Gewalt, ihren Ursachen sowie Möglichkeiten der Prävention auseinanderzusetzen. Auf der Basis von IPSOs Ansatz des Value Based Counseling (VBC) lernen Männer und Frauen in Gruppengesprächen, die je nach Bedarf durch Einzelgespräche ergänzt werden, kultursensitiv auf der Grundlage ihrer eigenen – traditionell übernommenen oder selbst angeeigneten Werte – sowie der erfahrenen Wertkonflikte die Ursachen latenter und manifester Gewalt zu identifizieren und Handlungsspielräume zu erkennen und zu öffnen, um dagegen anzugehen und Veränderungen bewirken zu können. Die Themen und Inhalte richten sich am Bedarf der Teilnehmenden aus. Das Themenspektrum der Auseinandersetzung reicht von Gewalterfahrungen bzw. traumatischen Erfahrungen im Heimatland und auf der Flucht bis hin zu Identitätskrisen, ausgelöst durch Wertekonflikte im neuen Land, Kulturschock, soziale Isolation und Diskriminierungserfahrungen in Deutschland.

Die Gruppensitzungen fördern Selbstreflexion und Selbstbefragung, eigene Positionierung und Selbstentwicklung, die kritische Auseinandersetzung mit scheinbaren Selbstverständlichkeiten und – nicht zuletzt – Empathie und ein Bemühen um ein gemeinsames Verständnis. Im Wechsel der Formate – z. B. gemeinsame Übungen und Brainstorming oder Rollenspiele zum Perspektivwechsel – wird ein dynamischer Raum geschaffen, der zum Lernen anregt und neue Erkenntnisse über sich selbst und andere bzw. die eigene und andere Lebenswelten generiert.

Als zentrale Erfolgsfaktoren haben sich gezeigt: 1) die Schaffung eines geschützten Raumes und einer von bedingungsloser Wertschätzung getragenen, Vertrauen erweckenden Atmosphäre; sie sind Voraussetzung für die Möglichkeit der Selbstbeobachtung und Öffnung, der Wahrnehmung und Artikulation der eigenen Gefühle, Bedürfnisse, Gedanken und Wünsche; 2) ein urteilsfreier Austausch und Perspektivenwechsel; 3) das Aufzeigen von Möglichkeiten der Selbstentfaltung sowie eine entsprechende Ermutigung der Teilnehmenden; 4) die Aufklärung über die rechtliche Situation gewaltbetroffener Menschen in Deutschland sowie über entsprechende Unterstützungsmaßnahmen. Die angestrebte Wirkung, ein besserer Umgang mit Konflikt- und Stresssituationen und eine bessere Selbstwahrnehmung und Kommunikationsfähigkeit, kann nach Selbsteinschätzung der Teilnehmenden als erreichbar gelten.

Das Projekt hat sich noch vor Abschluss als höchst relevant, effektiv und effizient erwiesen. Dies spiegelt sich auch im Feedback der Teilnehmenden wider. Dabei wurde sogar vorgeschlagen, das Projekt allen Menschen in den Unterkünften anzubieten und sie zur Teilnahme zu verpflichten.

Auch wenn es noch ein langer Weg von diesem Pilotprojekt zu einem Standardprogramm in Flüchtlingsunterkünften ist, so kann es vielleicht bereits heute neuen Vorstellungen von deren Leistungen und Möglichkeiten Anregungen bieten.

Äußerungen von Teilnehmer:innen

  • Ich fühle mich besser. Ich weiß nicht, was genau passiert ist, aber ich konnte mich und meine Gefühle besser spüren.
  • Ich war so deprimiert, als ich ins Camp kam. Jetzt geht es mir zwar nicht so gut, aber ich bin sicher, dass ich meinen Weg finden kann.
  • Ich verstehe meinen Vater und sein gewalttätiges Verhalten mir gegenüber besser. Ich verstehe, dass er unter starkem Druck stand, weil er zu viel Verantwortung trug und nicht wusste, wie er seinen Stress kontrollieren sollte; deshalb war er mir gegenüber so aggressiv. Ich kann ihm jetzt verzeihen.
  • Jetzt sehe ich, dass man die Dinge auch anders sehen kann! Ich kann anders mit den Dingen umgehen. Ich habe eine Wahl, ich bin nicht mehr dazu verdammt, die Vergangenheit zu wiederholen.
  • Ich bin froh, dass ich in der Gegenwart anderer Gruppenmitglieder ich selbst sein und darüber reden kann, was ich wirklich fühle oder brauche. Normalerweise spreche ich nicht darüber, weil die Leute einen normalerweise verurteilen, wenn man sich öffnet. Aber hier habe ich eine andere Erfahrung gemacht.

Videos und Medienberichterstattung

Projektleitung: Dr. Mina Orang
E-mail: m.orang@ipsocontext.org

 

Dieses Projekt wird gefördert durch:
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